Inklusion in der Wissenschaft

Impulse zur Umsetzung der Inklusion werden in die bayerischen Hochschulen hineingetragen, gehen jedoch auch von ihnen aus. Derzeit setzen die Hochschulen das vom Bayerischen Landtag im Jahr 2012 verabschiedete Konzept zur inklusiven Hochschule um, indem sie sich verstärkt für benachteiligte Studierende öffnen. Gleichzeitig erarbeiten Professoren und Studierende theoretische und praktische Lösungen, die die Inklusion von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft verbessern oder erst ermöglichen.

Best-Practice Beispiele für die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas sind der Studiengang „Inklusion und Exklusion“ an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH Regensburg) sowie ein Projekt zur Museumspädagogik an der Universität Würzburg. Dort gehen Studierende der Frage nach, wie man eine Museumsausstellung so gestalten kann, dass auch blinde und sehbehinderte Museumsbesucher Kultur erfahren und begreifen können.

Die Studierenden Nicolas Lucker und Anja Skowronski erläutern Ingeborg Roth das Kunstwerk "Perit mundus – Fiat iustitia" von Robert Höfling, das im Hintergrund zu sehen ist. Ingeborg Roth ist blind. Foto: Gunnar Bartsch
Studierende erläutern Kunstwerk zum Anfassen. Foto: Gunnar Bartsch

Museum am Dom: Anfassen erlaubt

Beim Besuch des Würzburger Museums am Dom stoßen blinde Besucher schnell auf Barrieren, denn aus konservatorischen Gründen dürfen sie die ausgestellten Kunstgegenstände nicht anfassen.

Abhilfe schafft seit dem Frühjahr 2013 eine Sammlung didaktischer Materialien, die Studenten der Universität Würzburg im Seminar „Blinde im Museum – wie geht das?“ (PDF-Datei: 232 kB) erstellt haben. In Zusammenarbeit mit der Bezirksgruppe Unterfranken-Würzburg des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes e. V. ist so unter anderem eine Nachbildung von Robert Höflings dreiteiligem Altar „Perit mundus – Fiat iustitia“ entstanden.

Das Bild zeigt fünf Personen auf einer Brücke, vier Personen zu Fuß und eine Person im Rollstuhl. Bildnachweis: Foto: OTH Regensburg
Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg

Inklusion studieren

Im Prinzip kann jeder, der offen für andere Menschen und deren Ideen ist, Inklusionsprojekte anstoßen.

Doch nicht jeder weiß, warum Menschen mit einer bestimmten Behinderung von Ausgrenzung bedroht sind und vor allem, wie man diesen konkret die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen kann.

Zielgruppe

Mit dem Master-Studiengang „Inklusion und Exklusion“ in der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften der OTH Regensburg richtet sich die Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg an Studierende, die an einer Universität oder Hochschule für angewandte Wissenschaften bereits einen Diplom- oder Bachelor-Abschluss der Sozialen Arbeit erworben haben. Der Studiengang „Inklusion und Exklusion“ ist ein Vollzeitstudium, das innerhalb von drei Semestern zu absolvieren ist. In insgesamt neun Modulen lernen die Studierenden unter anderem, soziale Milieus und Zielgruppen mit beschränkten oder ausgeschlossenen Teilhabechancen zu identifizieren und mit diesem Wissen Konzepte und Interventionsmaßnahmen zu entwickeln, um Exklusion zu verhindern und Partizipationschancen zu erhöhen.

Mit ihrem Master-Abschluss haben Absolventen die Berechtigung für eine höhere Laufbahn im Öffentlichen Dienst oder können ihre Kenntnisse bei Forschungsprojekten zur Sozialen Arbeit einsetzen. Sie können unter anderem Planungs- und Entwicklungsaufgaben wahrnehmen, international und interkulturell arbeiten oder als Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte tätig werden.

Praxisbezogene Forschungsprojekte

Bereits während des Studiums erhalten die angehenden Sozialwissenschaftler Gelegenheit, ihre Fachkenntnisse in einjährigen Forschungsprojekten praktisch anzuwenden. Hierzu kooperiert die Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Hochschule mit externen Partnern, deren Projekte Studierende des Studiengangs „Inklusion und Exklusion“ wissenschaftlich begleiten. Ein solches Projekt ist beispielsweise „Regensburg inklusiv“, das die Inklusion von Menschen mit Behinderung in und um Regensburg verbessern will.

Inklusion durch Vernetzung

Im Projekt „Regensburg inklusiv“ sollen sich Akteure aus verschiedenen Bereichen des Regensburger Stadtlebens miteinander vernetzen und somit neue Möglichkeiten zur Inklusion von Menschen mit Behinderung schaffen. In so genannten Inklusionszirkeln entwickeln Regensburger Bürger mit und ohne Behinderung gemeinsam themenbezogene Inklusionsideen, die sie in Zusammenarbeit mit anderen Netzwerkpartnern umsetzen. Ebenso können sich andere Projektpartner mit den Inklusionszirkeln vernetzen und Menschen mit Behinderung als Experten in eigener Sache befragen.

Hochschule begleitet zielgruppenorientiert

Die wissenschaftliche Begleitung des gesamten Projekts durch den Studiengang „Inklusion und Exklusion“ unter der Leitung von Prof. Dr. Sonja Haug ist mit der Arbeit der Inklusionszirkel sowie weiterer Projektpartner eng verzahnt, orientiert sich an den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung und trägt bereits erste Früchte. Laut einer Umfrage, die eine Studierende des Master-Studiengangs unter Kunden und Mitarbeitern der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung (ISB) durchführte, kann das Diakonische Werk Regensburg die Dienstleistungen sowie die Mitarbeiterausbildung der ISB optimieren.

Ganz besonders engagiert sind die Studierenden des Master-Studiengangs „Inklusion und Exklusion“ beim Thema Barrierefreiheit. Die Ergebnisse einer Befragung, die Studierende bereits während der Planung zum inklusiven Wohnprojekt „Haus mit Zukunft“ unter zukünftigen Bewohnern mit Handicap durchführten, sollen zukünftig in die Planung barrierefreier Wohnungen einfließen. In Zusammenarbeit mit der Beauftragten für die Belange von Studierenden mit Behinderung und chronischer Erkrankung der Hochschule sowie der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung der Diakonie Regensburg haben Studierende den öffentlichen Nahverkehr im Selbstversuch auf Barrierefreiheit getestet. Die anschließend in einer Befragung unter behinderten Verkehrsteilnehmern gewonnenen Verbesserungsvorschläge will die Stadt Regensburg bei zukünftigen Verkehrsprojekten berücksichtigen. Zudem arbeiten die Studierenden von Frau Prof. Dr. Haug gemeinsam mit Menschen mit Behinderung an der barrierefreien Gestaltung der Regensburger Bürgerbüros. Das Ergebnis einer weiteren Umfrage fließt in die Jugendarbeit ein. In Zusammenarbeit mit der Katholischen Jugendstelle Regensburg Land und dem Pater-Rupert-Mayer-Zentrum befragten die Studierenden Jugendliche mit Behinderung zu Nutzung sowie Gestaltungsmöglichkeiten barrierefreier Freizeitangebote.

Experten in eigener Sache

Während die Stadt Regensburg von der Zusammenarbeit mit angehenden Sozialwissenschaftlern im Projekt „Regensburg inklusiv“ profitiert, werden Menschen mit Behinderung an der OTH Regensburg zu gefragten Experten in eigener Sache und tragen somit aktiv zur Sensibilisierung für ihre eigenen Belange bei. Anlässlich des „Aktionstags barrierefreies Bauen“, den die Fakultät Architektur erstmals im April 2014 gemeinsam mit dem Inklusionszirkel „Wohnen“ des Projekts „Regensburg inklusiv“, mehrerer Behindertenverbände und der Architektenkammer Bayern veranstaltete, konnten sich angehende Architekten aus erster Hand informieren, worauf es beim barrierefreien Bauen für Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen ankommt. Zudem plant die OTH Regensburg Informationsveranstaltungen zur Sensibilisierung von Lehrenden, Studierenden ohne Behinderung, Personalverantwortlichen der Hochschule und Unternehmern für die Berufschancen von Studierenden mit Handicap.

Gute Berufschancen

Studierende des Master-Studiengangs „Inklusion und Exklusion“ arbeiten nicht nur an spannenden Forschungsprojekten, sondern haben nach dem Studium auch sehr gute Berufsaussichten. Laut einer Umfrage der OTH Regensburg unter ehemaligen Studierenden aller Fachbereiche, haben bislang 90 Prozent der Absolventen des Studiengangs „Inklusion und Exklusion“ unmittelbar nach dem Studium eine Anstellung gefunden. Mehrheitlich sind die Absolventen des Master-Studiengangs in Jugendämtern und Kinderheimen tätig. Etwa 20 Prozent haben eine Anstellung in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen gefunden und circa 17 Prozent engagieren sich in Forschungsprojekten an der OTH Regensburg und weiteren Forschungseinrichtungen.

Das Ergebnis der Umfrage unter ehemaligen Studierenden des Master-Studiengangs „Inklusion und Exklusion“ spricht für die OTH Regensburg. Denn die Mehrheit der Absolventen ist mit dem Studienverlauf zufrieden. Rund 90 Prozent gaben sogar an, denselben Studiengang wieder in Regensburg studieren zu wollen.

Begehrte Studienplätze

Der Studiengang „Inklusion und Exklusion“ ist zulassungsbeschränkt. Wer sich in Regensburg zum Experten für Inklusion und Exklusion weiterbilden möchte, benötigt neben guten Noten im Vorstudium auch eine gehörige Portion Glück. So haben sich zum Sommersemester 2014 65 Interessenten auf 20 Plätze beworben. Langfristig will die OTH Regensburg jedoch die Anzahl der Studienplätze auf 25 Plätze pro Studienbeginn erhöhen. Neben Studierenden aus dem gesamten Bundesgebiet sind auch ausländische Bewerber mit guten Deutschkenntnissen willkommen.

Ausblick

Noch bis Ende 2016 wird das Projekt „Regensburg inklusiv“ von der Aktion Mensch gefördert. Von Exklusion sind aber nicht nur Menschen mit Behinderung betroffen. Daher ist in der Fakultät Angewandte Sozial- und Gesundheitswissenschaften der OTH Regensburg geplant, in Zukunft auch Projekte zu den Themen „Migration und Flüchtlinge“ sowie „Armut und Überschuldung“ wissenschaftlich zu begleiten.

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