Interview: Olga Koeva

„Positiv denken und an das Gute glauben“

Interview mit Olga Koeva, Studentin an der Hochschule für katholische Kirchenmusik in Regensburg.

Olga Koeva

  • Geboren 1993 in Schumen (Ostbulgarien)
  • Besuch einer örtlichen Grundschule in der Hauptstadt Sofia und später Wechsel an die Nationale Musikschule "Lyubomir Pipkov"
  • 2012 Abitur in den Fächern Klavier, bulgarische Sprache, bulgarische Literatur und Deutsch
  • Seit 2012 Studium an der Hochschule für katholische Kirchenmusik in Regensburg 
  • Frau Koeva ist seit ihrem 3. Lebensmonat blind.

Im Interview* mit der „Studieren-in-Bayern-Redaktion“ (SiB) erzählt Frau Koeva von ihrer Leidenschaft für die Musik, ihrer Schulzeit in Bulgarien und ihrem Studienalltag an der katholischen Hochschule für Kirchenmusik.
*[Das Interview führte SiB-Redakteur Christoph Bungard am 6. Juni 2014 in Regensburg.]

SiB: Frau Koeva, seit dem Wintersemester 2012 studieren Sie in Regensburg katholische Kirchenmusik und spielen begeistert Kirchenorgel. Was fasziniert Sie an diesem Instrument?
Olga Koeva: Mich fasziniert die Akustik der Kirchenorgel. Schon als Kind habe ich früher oft Konzertorgeln gehört, wenn ich mit meinen Eltern auf internationalen Orgelfestivals in Bulgarien und Russland unterwegs war. Eine richtige Kirchenorgel habe ich jedoch zum ersten Mal während eines Deutschland-Urlaubs mit meinen Eltern im Passauer Stephansdom gehört. Dort steht die weltweit größte Domorgel. Mich hat damals beeindruckt, wie die Organistin vor allem die leiseren, romantischen Register miteinander kombiniert hat, wenn sie französische oder deutsche romantische Musik spielte. Zudem war der volle Klang in Kombination mit dem langen Nachhall für mich einfach nur wunderbar. Ich habe mich in dem Moment Hals über Kopf in die Kirchenorgel verliebt. Recht bald wusste ich dann auch, dass ich mich näher mit Orgelmusik beschäftigen wollte. Die Orgel im Passauer Dom zu hören: Das war für mich bislang eines der aufregendsten Erlebnisse in meinem Leben.

SiB: Stammen Sie aus einer Musiker-Familie?
Olga Koeva: Meine Eltern sind keine Musiker. Trotzdem würde ich aber sagen, dass mir die Liebe zur Musik in die Wiege gelegt worden ist. Schon recht früh haben mir meine Eltern und Großeltern Kinderlieder, russische Romanzen und bulgarische Volkslieder beigebracht und gemeinsam mit mir klassische Musik und Popmusik gehört. Meine musische Begabung entdeckt hat jedoch meine Musiklehrerin an der Blindenschule in Sofia. Bei ihr hatte ich schon als Grundschülerin privaten Klavierunterricht. Sehr schnell hat sie herausgefunden, dass ich ein absolutes Gehör habe. Auf ihre Empfehlung hin bin ich dann in Sofia aufs Musikgymnasium gegangen.

SiB: Nehmen blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler in Bulgarien inklusiv am Unterricht teil?
Olga Koeva: An der Grundschule wie am Gymnasium war ich die einzige blinde Schülerin. In Bulgarien spricht man eher von Integration als von Inklusion. Auch in meiner Heimat gibt es blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler, die auf Regelschulen gehen. Allerdings ist die Unterstützung nicht so gut organisiert wie hier in Deutschland. So gibt es für ganz Bulgarien nur zwei Reha-Lehrer. Auch hat dort nicht jeder Blinde eine Braille-Schreibmaschine oder eine Braille-Zeile, da diese Hilfsmittel nicht wie hier in Deutschland über die Krankenkassen finanziert werden können. Ein weiteres Problem ist die Versorgung mit Lehrbüchern. Bis zur achten Klasse hatte ich Glück: Die meisten Lehrbücher, mit denen wir gearbeitet haben, hat es schon in Braille-Schrift gegeben. Ansonsten musste ich viel improvisieren. Um mir das Lernen gleichberechtigt mit meinen sehenden Mitschülern zu ermöglichen, hat sich meine Mutter die Braille-Schrift selbst beigebracht und für mich mit der Braille-Schreibmaschine unter anderem Lehrbücher für Englisch, Geometrie, Gehörbildung und sogar Musiknoten übertragen. Letzteres erfordert besonders hohe Konzentration, weil man zu den Noten noch Vorzeichen, Informationen zur Dynamik, Oktavzeichen, Pausen und so weiter einfügen muss. Noten überträgt meine Mutter nach wie vor für mich, doch mittlerweile kann ich auch viele Werke in Blindenschrift über die Deutsche Zentralbibliothek für Blinde und Sehbehinderte in Leipzig ausleihen.

SiB: Wie sieht denn Ihr Studienalltag an der Hochschule aus?
Olga Koeva: An erster Stelle stehen bei mir das liturgische Orgelspiel, Klavier, Gesang und Schlagzeug auf dem Stundenplan. Meine größten Herausforderungen im Studium sind die Fächer Chorleitung und Gregorianik, die für mich völlig neu sind. In beiden Fächern findet die Kommunikation mit dem Chor per Blickkontakt und komplexer visueller Gesten statt, die ich mir aufgrund meiner Blindheit schwer vorstellen und einüben kann. Die fehlende visuelle Kommunikation kann ich teilweise mit meiner eigenen Methodik und indem ich Anweisungen verbalisiere ausgleichen. Doch die Chorleitung wird aber immer eine ganz besondere Herausforderung für mich bleiben.

SiB: Warum wollten Sie in Deutschland und hier in Regensburg katholische Kirchenmusik studieren?
Olga Koeva: In Bulgarien bzw. in der orthodoxen Kirche gibt es den Beruf des Kirchenmusikers nicht. Zwar leben in Bulgarien auch Katholiken, doch die Anzahl der Kirchen, die mit Kirchenorgeln ausgestattet sind, ist sehr gering. Deshalb wollte ich gerne im Ausland studieren. Da ich bereits seit der achten Klasse Deutsch lerne, kam für mich der deutschsprachige Raum infrage. In der 11. Klasse habe ich über die Deutsche Zentralbibliothek für Blinde in Leipzig einen Absolventen der Hochschule für katholische Kirchenmusik in Regensburg kennen gelernt, der wie ich blind ist. Er hat mir dann diese Hochschule empfohlen. Gegen Ende des 11. Schuljahres bin ich dann mit meinen Eltern nach Regensburg gereist, habe dem Domorganisten vorgespielt und anhand seiner Tipps mit der Vorbereitung auf die Aufnahmeprüfung begonnen. Seit zwei Jahren lebe ich nun gemeinsam mit meiner Mutter in Regensburg und studiere hier an der Hochschule. Mittlerweile habe ich mich gut eingelebt. Meine Dozenten und Kommilitonen sind sehr freundlich und hilfsbereit.
Ein ganz besonderes Erlebnis muss ich noch erzählen: In Bulgarien bin ich mit dem orthodoxen Glauben aufgewachsen. Durch das Orgelspielen und mein Studium bin ich im Laufe der Zeit der katholischen Kirche sehr nahe gekommen. Ich habe mich schließlich vergangenes Jahr während der Osternacht im Regensburger Dom katholisch taufen lassen und habe vom Bischof die Erstkommunion empfangen – Die Regensburger Domspatzen haben den Gottesdienst musikalisch begleitet. Das war mein feierlichster Moment.

SiB: Wie stellen Sie sich Ihre berufliche Zukunft vor?
Olga Koeva: Nach meinem Studium möchte ich gerne als Kirchenmusikerin arbeiten, Musiktheorie unterrichten und nebenberuflich übersetzen.

SiB: Fällt Ihnen das Erlernen von Fremdsprachen leicht? Sie sprechend ausgezeichnet Deutsch.
Olga Koeva: Ja, Fremdsprachen sind mein Steckenpferd. Neben Deutsch spreche ich Russisch, Englisch, ein wenig Französisch und Niederländisch. Derzeit lerne ich noch Schwedisch und im kommenden Jahr möchte ich mit Spanisch und Norwegisch anfangen. Sprachen lernen ist für mich wie ein Hobby – wie das Üben an der Orgel. Das wird mir nie zu viel.
In meiner Freizeit gehe ich auch gerne spazieren oder besuche Konzerte. Zur Entspannung lese ich – hauptsächlich historische Romane und Klassiker, manchmal auch Krimis und Liebesromane.

SiB: Wo würden Sie nach dem Studium gerne leben und arbeiten?
Olga Koeva: Am liebsten irgendwo in Europa, gerne natürlich in Deutschland. Hier ist es gerade für Menschen mit Behinderung einfacher als in Bulgarien, einen Arbeitsplatz zu finden und gleichberechtigt am Leben in der Gesellschaft teilzuhaben.

SiB: Wie würden Sie anderen Studierenden mit Behinderung Mut machen?
Olga Koeva: Unabhängig von der eigenen Behinderung ist ein Studium immer mit sehr viel Fleiß und Kraft verbunden. Aus eigener Erfahrung weiß ich jedoch auch, dass ich gerade wegen meiner Blindheit im Studium oft mehr Hindernisse überwinden muss als jemand ohne Handicap. Andere Studierende mit Behinderung möchte ich ermutigen, sich trotzdem nicht von Ihrem Weg abbringen zu lassen, sondern positiv zu denken und an das Gute zu glauben. Denn nur so kann man seine Träume verwirklichen.

SiB: Frau Koeva, herzlichen Dank für das Interview!

Anmerkung der Redaktion

Direkt im Anschluss an das Interview hat uns Frau Koeva auf der Kirchenorgel spontan eine Kostprobe gegeben.
In einem Video auf YouTube kann man Olga Koeva an der Kirchenorgel erleben. Hier interpretiert sie den dritten Choral in a-Moll des französischen Komponisten und Organisten César Franck (Video: Mark Hoogslag).