Interview: Michael Weigl

„Der Sport und mein Bruder haben mich wieder auf die Beine gebracht“

Interview mit Michael Weigl, Student der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Michael Weigl

  • Geboren 1988 in München
  • 2010 Abitur am Dante-Gymnasium, München
  • Seit 2011 Studium der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität, München
  • Seit einem Unfall querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen

Im Interview* mit der „Studieren-in-Bayern-Redaktion“ (SiB) berichtet Michael Weigl von seinen persönlichen Herausforderungen im Studienalltag und gibt einen Einblick in seine ersten Erfahrungen als Medizinstudent.
*[Das Interview führte SiB-Redakteur Christoph Bungard am 13. Juni 2014 in München.]

SiB: Herr Weigl, wie sind Sie zum Medizinstudium gekommen?
Michael Weigl: Nach dem Abitur habe ich ein Jahr Pause eingelegt, um mich beruflich zu orientieren. Ein Medizinstudium war von Anfang an in meiner engeren Wahl, doch auch Psychologie, Biologie und speziell das Thema erneuerbare Energien haben mich sehr interessiert. Ausschlaggebend war schließlich ein Praktikum im Klinikum Neuperlach, das mir eine Freundin unserer Familie, die dort als Anästhesistin tätig ist, vermittelt hat. Eine Woche dufte ich die Arbeit der OP-Teams hautnah miterleben. Diese wertvolle Erfahrung hat mich sehr beeindruckt und bei meiner Entscheidung den Ausschlag gegeben, Medizin zu studieren. Jetzt brauchte ich nur noch einen Studienplatz und so habe ich mich gleich nach dem Praktikum bei der Stiftung für Hochschulzulassung um einen Platz beworben – und dabei alles auf eine Karte gesetzt. Im Bewerbungsverfahren habe ich ausschließlich das Fach Medizin sowie München als einzig möglichen Studienort angegeben. Als ich dann nach einigen Wochen die Zusage im Postkasten hatte, bin ich völlig aus dem Häuschen gewesen und habe mein Glück kaum fassen können. Im Wintersemester 2012 konnte ich dann mein Studium beginnen.

SiB: Wie kam es zu Ihrer Behinderung?
Michael Weigl: Gleich nach meinem Wechsel aufs Gymnasium hatte ich einen Unfall: Gemeinsam mit meinem Bruder und meinem Cousin habe ich ein Baumhaus mit Aussichtsturm gebaut. Beim Einschlagen eines Nagels ist ein dicker Ast, der von innen her morsch war, durchgebrochen. Mein Fall ist zwar durch mehrere Äste abgebremst worden, doch ich bin immer noch relativ hart auf dem Boden aufgeschlagen. Die schlimmsten Folgen des Sturzes waren die Rückenmarkverletzungen, die zu meiner Gehbehinderung geführt haben. Unmittelbar nach dem Unfall konnte ich von der Brust abwärts nichts spüren und mich auch so gut wie gar nicht bewegen. Mittlerweile kann ich das Haus wieder selbständig verlassen, bin dabei jedoch auf den Rollstuhl angewiesen. Treppen kann ich nur mit fremder Hilfe überwinden.
Wieder auf die Beine gekommen bin ich hauptsächlich durch den Sport – und vor allem mit der Hilfe meines Bruders. Er ist und bleibt meine größte Stütze. Wir sind ein echtes Team.
Schon vor meinem Unfall habe ich vor allem Sportarten wie Skifahren, Wasserski, Kanufahren und Bladen geliebt. In der Rehaklinik habe ich dann Bekanntschaft mit Rollstuhl-Basketball gemacht, bin jedoch erst im Dante-Gymnasium über einen ebenfalls gehbehinderten Klassenkameraden so richtig auf den Geschmack gekommen. Seitdem trainiere ich in meiner Freizeit regelmäßig in der Hochschulsport-Anlage der TU hier in München.
Mit der TU habe ich übrigens auch im Studium zu tun. In München gibt es nämlich eine Besonderheit. Während der ersten vier Semester besucht man im Rahmen des MECUM-Programms Veranstaltungen an der LMU und der TU. Bei MECUM handelt es sich also um eine Doppelimmatrikulation. Erst nach dem Physikum entscheidet man sich dann endgültig für eine der beiden Universitäten.

SiB: Wie ging es dann in Ihrem Studium los?
Michael Weigl: Jeder angehende Mediziner bekommt es sehr bald mit dem Fach Anatomie zu tun. Da war mir anfangs schon ein wenig mulmig zumute. Ich glaube, den meisten meiner Kommilitoninnen und Kommilitonen ist es da aber nicht anders ergangen. Vor Studienbeginn hatte ich zumindest im Praktikum bereits Geburten miterlebt. Leben und Tod liegen im Beruf des Mediziners nah beieinander. Das ist schon eine enorme Verantwortung.

SiB: Vor welche Herausforderungen stellt Sie Ihre Gehbehinderung im Studienalltag?
Michael Weigl: Sehr oft muss ich aufgrund meiner eingeschränkten Bewegungsfreiheit hauptsächlich räumliche Barrieren überwinden. Um diese zu vermeiden, bin ich recht bald dazu übergegangen, vor allem daheim zu lernen. Grundsätzlich versuche ich, meinen Studienalltag so selbstständig wie möglich zu gestalten. Eine Zeit lang war ich sehr frustriert. Doch ich schaue immer wieder nach vorne und begegne auch immer wieder kompetenten und hilfsbereiten Menschen. In einer Phase, in der ich sehr gezweifelt habe, war insbesondere die persönliche Begegnung mit Frau Irmgard Badura, der bayerischen Behindertenbeauftragten, eine große Hilfe. Bei einer Sportveranstaltung bin ich eher zufällig mit ihr in Kontakt gekommen.
 
SiB: Herr Weigl, haben Sie sich schon Gedanken gemacht, auf welchen Bereich Sie sich später spezialisieren möchten?
Michael Weigl: Derzeit bin ich noch unentschlossen. Im Rahmen eines Pflichtpraktikums in der Geriatrie der Neuperlacher Klinik konnte ich jedoch schon einen Monat lang erste Erfahrungen sammeln. Das Praktikum hat mir große Freude gemacht und mir auch persönlich viel weitergeholfen. Das gesamte Team war mir gegenüber sehr offen – was vielleicht daran liegt, dass im Klinikum zwei hoch angesehene Ärzte tätig sind, die wie ich im Rollstuhl sitzen. Ich habe mich in der Geriatrie schnell eingearbeitet, war beim Verteilen von Getränken und Mahlzeiten behilflich und bin auch mit den Patienten direkt in Kontakt gekommen. Die Ärzte und Pfleger in der Geriatrie waren so zufrieden mit mir, dass sie mir gleich angeboten haben, in der verbleibenden zweimonatigen Praktikumszeit ebenfalls bei ihnen zu arbeiten. Vielleicht schaue ich mir aber doch noch einen anderen Fachbereich an.

SiB: Trotz Schwierigkeiten haben Sie sich nicht von ihrem Studium abbringen lassen. Welchen Rat würden Sie anderen Studieninteressierten und Studierenden mit Behinderung mit auf den Weg geben?
Michael Weigl: Ich bin überzeugt: Eine Behinderung schließt ein Studium nicht aus. Ganz wichtig ist es, Menschen zu finden, die einem in schwierigen Situationen weiterhelfen können. Wer die Inklusion an seiner Hochschule voranbringen will, sollte sich mit allen Interessengruppen an einen Tisch setzen, gemeinsam Gedanken machen und Ideen entwickeln. Es muss nicht jeder das Rad neu erfinden. Das Ziel muss es sein, für möglichst viele etwas zu verbessern – nicht nur für sich alleine. Und – das halte ich für ganz wichtig – man muss wissen, was es wo gibt. Deshalb will ich auch Ihr Projekt unterstützen und das einbringen, was ich weiß.

SiB: Dafür danken wir Ihnen sehr, Herr Weigl. Herzlichen Dank für das Interview.